Junge Fotografie im Schloss Ritzebüttel

"Abwesenheitsnotizen - traces of absence" - ein gemeinsames Langzeitprojekt von Anja Bohnhof und Karen Weinert

vom 2. Juni - 14. Juli 2013 im Schloss Ritzebüttel in Cuxhaven

Atelier des Malers Otto Dix (1891-1969), Otto-Dix-Haus Hemmenhofen
Atelier des Malers Otto Dix (1891-1969), Otto-Dix-Haus Hemmenhofen

Seit 2004 arbeiten die Fotografinnen Anja Bohnhof und Karen Weinert gemeinsam an dem Projekt, das sie „Abwesenheitsnotizen“ nennen. „Abwesenheitsnotiz“ ist ein Begriff, den wir eigentlich aus der medialen Welt des Internets und des Emails-Verkehrs kennen: Der Angeschriebene gibt damit zu erkennen, dass er für einen bestimmten Zeitraum über das Medium nicht erreichbar ist. Auch die Gedächtnisstätten – Ateliers und Wohnräume von Menschen unterschiedlichem Bekanntheitsgrad, die heute zumeist für jedermann zugänglich als Museen fungieren, sind für eine kurze Zeit nicht zugänglich, nicht erreichbar. Nämlich genau zu jener Zeit, in der Anja Bohnhof und Karen Weinert die Räume von den gesamten Wohneinrichtungen ihrer einst berühmten Bewohner vollständig ausräumen. In manchen dieser Museen – ob mit Originalmöbeln oder, wenn dies nicht mehr möglich ist, mit detailgetreuen Rekonstruktionen, zumindest aber mit der Zeitepoche und dem gesellschaftlichen Status entsprechendem Interieur – erhält der Besucher den Eindruck, als ob der Hausherr gerade erst den Raum verlassen hat, so lebendig und liebevoll sind diese mit persönlichen Requisiten oder frischen Schnittblumen auf einem Tisch oder einer Anrichte ausgestattet.

Arbeitszimmer Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848), Rüschhaus, Stadtmuseum Münster
Arbeitszimmer Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848), Rüschhaus, Stadtmuseum Münster

Doch was passiert mit den Räumen, wenn sie frei von beweglichen Gegenständen und Mobiliar sind? Wenn der Blick freigegeben wird auf Elemente aus der heutigen Zeit, die es zu den Lebzeiten der berühmten Persönlichkeiten noch lange nicht gab? Wenn der Blick auf Heizkörper, Sicherheitssysteme, Steckdosen, Hinweisschilder und den Trittspuren auf den Holzfußböden fällt. Mit dem Ausräumen der ehemaligen Arbeits- und Lebensräume wird nicht nur eine Leere inszeniert, sondern dem Betrachter wird bewusst gemacht, dass nichts mehr bleibt, wenn jemand – auch noch so berühmt – verstorben ist. Auch wenn wirkliches Leben in diesen Interieurs mit einer inszenierten Aura schon lange nicht mehr stattgefunden hat und die entleerten Räume einer Theaterkulisse gleichen, verlieren die Orte zwar ihre individuelle Atmosphäre, doch sie erhalten stattdessen ein einzigartiges Kolorit der Klarheit und Stille.

 

Arbeitszimmer Albert Einstein (1879-1955), Sommerhaus Caputh, Einstein-Forum, Potsdam
Arbeitszimmer Albert Einstein (1879-1955), Sommerhaus Caputh, Einstein-Forum, Potsdam

Anja Bohnhof und Karen Weinert haben in den letzten neun Jahren fast 30 dieser einstigen Wohn- und Wirkungsstätten von Literaten, bildenden Künstlern, Komponisten und Musikern quer durch Deutschland aufgesucht. Darunter sind u. a. das Gartenhaus Friedrich Schillers in Jena, die Ateliers von August Macke in Bonn und Otto Dix in Hemmenhofen, die Arbeitszimmer des Komponisten Robert Schumann in Zwickau, des Schriftstellers Wilhelm Raabe in Braunschweig und der Annette von Droste-Hülshoff in Münster. Das mag auf dem ersten Blick eine magere Ausbeute in all den vielen Jahren sein, doch darf man dabei nicht vergessen, dass es für jedes Haus einen längeren Vorlauf manches mal sogar von Jahren bedurfte, bis die Verantwortlichen überhaupt ihre Einwilligung gaben. Zumal so manch ein Museumsleiter zunächst sehr skeptisch reagiert und sich fragt, „was das Ganze soll“, denn ohne jegliche biographische oder Epochenbezüge treten in den temporär entleerten Räumen die Insignien der Gegenwart, d. h. bislang Nebensächliches verstärkt hervor und für wen sollte dies von Interesse sein. Doch das ist es gerade, was die beiden Künstlerinnen fasziniert, der Raum als Schauplatz der Geschichte verliert seinen Personenkult, stattdessen vermischen sich die Spuren des Vergangenen mit denen der Gegenwart, wodurch eine spannungsreiche Schnittstelle zwischen Dokumentation und Inszenierung entsteht.

 

© Erle Bessert M. A. (Kuratorin)

Zeitungsbericht zur Ausstellung_Cuxhavener Nachrichten
CN_Abwesenheitsnotizen_03.06.2013.pdf
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